Warum ist dieser Prozess wichtig? Der Automobilbau umfasst viele komplexe Lieferketten. OEMs haben Zulieferer, die wiederum selbst Zulieferer haben – und so geht es immer weiter. Entlang dieser Ketten kann viel schief gehen. So können etwa verpasste Fristen bei Unterauftragnehmern den Produktionsbeginn des OEM verzögern oder Qualitätsprobleme bei einem Unterauftragnehmer zu teuren Rücksendungen führen. In der Lieferkette läuft nichts automatisch – auf jeder Ebene der Lieferkette ist ein striktes und systematisches Management erforderlich. Und genau darum geht es bei diesem Prozess. Genau genommen wäre „Lieferantenmanagement“ eine treffendere Bezeichnung für ACQ.4.
Und wenn wir schon dabei sind: Was sind eigentlich „Zulieferer“ in diesem Zusammenhang? Es gibt keine offizielle, verbindliche Definition für die Art von Zulieferern, die an diesem Prozess beteiligt sind. Wir konzentrieren uns daher auf Zulieferer, die eine Komponente unseres Produkts entwickeln, also in der Regel eine Softwarekomponente oder eine Kombination aus Hardware und Software, wie etwa einen Sensor. Die Komponente muss nach unseren Spezifikationen entwickelt werden, dafür ist ein erheblicher Managementaufwand erforderlich. Der Kauf kommerzieller Standardprodukte erfordert dagegen nur einen geringen Managementaufwand.
Im Folgenden sind die wichtigsten Aspekte der Lieferantenüberwachung in Automotive SPICE® aufgeführt.
- Definieren Sie die Form der Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit sollte schriftlich vereinbart werden. In der Welt des Projektmanagements wird das gewöhnlich als „Leistungsbeschreibung des Zulieferers“ bezeichnet. Dort werden Informationen zu Schnittstellen, Zuständigkeiten, Besprechungen, gemeinsamen Aktivitäten und Prozessen, Berichterstattung und weitere Aspekte festgelegt. Zu den besonders wichtigen Fragen, die beim Abschluss dieser Vereinbarung zu berücksichtigen sind, gehören:
- Welche Anforderungen stellen Sie an den Entwicklungsprozess von Zulieferern? Welche Automotive SPICE Anforderungen stellen Sie konkret an den Zulieferer?
- Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Format übermitteln Sie Ihre Anforderungen an den Zulieferer?
- Wie erfolgt die Überprüfung der Anforderungen und die Abnahme durch den Zulieferer?
- Wie gehen Sie mit Konflikten um, wenn der Zulieferer die Anforderungen nicht akzeptiert?
- Welche Tests werden durchgeführt, nachdem der Zulieferer die Anforderungen umgesetzt hat?
- Welche Tests werden vom Zulieferer und welche von Ihnen als Kunde durchgeführt?
- Welche Unterstützung erwarten Sie vom Zulieferer, damit sein Produkt nach den Tests in Ihrer Umgebung funktioniert?
- Stellen Sie angemessene Ressourcen für das Lieferantenmanagement bereit. Viele unterschätzen deutlich den Aufwand, der für das Lieferantenmanagement erforderlich ist. Ab und zu mit dem Zulieferer zu sprechen, reicht nicht aus. Es braucht eine erfahrene Person, die einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in das Lieferantenmanagement investieren muss. In einem großen Unternehmen kann das eine Person sein, die diese Funktion in Vollzeit ausübt. Gerade bei Zulieferern mit kulturellen und sprachlichen Barrieren kann der Aufwand um ein Vielfaches höher sein als bei einem lokalen Zulieferer von nebenan.
- Richten Sie wirksame Mittel zur Überwachung der Fortschritte der Zulieferer ein. Dafür gibt es zwei Methoden:
- Halten Sie eine technische Besprechung ab, um Anforderungen, technische Fragen, Probleme und Qualitätsthemen zu erörtern und zu klären. Führen Sie eine Liste mit offenen Punkten und arbeiten Sie diese ab, bis alle Punkte erledigt sind.
- Dann folgt der Managementteil: Überprüfen Sie den Fortschritt gegenüber dem Zeitplan, den Aufwand und die Kosten (wenn es sich um einen Zeit- und Materialvertrag handelt) und bearbeiten Sie Änderungsanträge, Prognosen und Risiken.
Lieferantenüberwachung – der Prozess nach Automotive SPICE®
Mit dem Prozess der Lieferantenüberwachung wird die Leistung des Zulieferers anhand der vereinbarten Anforderungen verfolgt und bewertet.
BP1: Vereinbaren Sie gemeinsame Prozesse und Schnittstellen und pflegen Sie einen engen Informationsaustausch. Erstellen und pflegen Sie eine Vereinbarung über auszutauschende Informationen, gemeinsame Prozesse und Schnittstellen, Zuständigkeiten, Art und Häufigkeit gemeinsamer Aktivitäten, Kommunikation, Besprechungen, Statusberichte und Reviews.
ANMERKUNG 1: Gemeinsame Prozesse und Schnittstellen umfassen in der Regel das Projektmanagement, das Anforderungsmanagement, das Änderungsmanagement, das Konfigurationsmanagement, das Problemlösungsmanagement, die Qualitätssicherung und die Kundenabnahme.
ANMERKUNG 2: Die gemeinsam durchzuführenden Aktivitäten sollten zwischen Kunde und Zulieferer vereinbart werden.
ANMERKUNG 3: Der Begriff „Kunde“ bezieht sich in diesem Prozess auf die zu bewertende Partei. Der Begriff „Zulieferer“ bezieht sich auf den Zulieferer der zu bewertenden Partei.
BP2: Nutzen Sie die definierten gemeinsamen Schnittstellen zwischen Kunde und Zulieferer für den Austausch aller vereinbarten Informationen.
ANMERKUNG 4: Vereinbarte Informationen sollten alle relevanten Arbeitsprodukte umfassen.
BP3: Überprüfen Sie gemeinsam mit dem Zulieferer regelmäßig die Entwicklung, einschließlich technischer Aspekte, Probleme und Risiken, und verfolgen Sie offene Punkte bis zum Abschluss.
BP4: Überprüfen Sie regelmäßig den Fortschritt des Zulieferers in Bezug auf Liefertermine, Qualität und Kosten. Verfolgen Sie offene Punkte bis zum Abschluss und führen Sie risikomindernde Maßnahmen durch.
BP5: Ergreifen Sie Maßnahmen, wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden, um Abweichungen von den vereinbarten Projektplänen zu korrigieren und ein erneutes Auftreten der festgestellten Probleme zu verhindern. Verhandeln Sie Zieländerungen und dokumentieren Sie diese in den Vereinbarungen.
Arbeitsergebnisse: Verpflichtung/Vereinbarung, Abnahmeprotokoll, Kommunikationsprotokoll, Besprechungsprotokoll, Fortschrittsstatusprotokoll, Änderungsantrag, Korrekturmaßnahmenverzeichnis, Reviewprotokoll, Analysebericht
Welchen Nutzen bietet die Lieferantenüberwachung?
Durch die kontinuierliche Überwachung und Kontrolle der Lieferantenbeziehung und der gelieferten Produkte sind die Projektbeteiligten über die Leistung des Zulieferers und seine Liefertreue informiert und können bei Bedarf Korrekturmaßnahmen einleiten.
Was beinhaltet die Lieferantenüberwachung?
- Gemeinsame Prozesse und Schnittstellen werden vereinbart und gepflegt (BP1).
- Relevante Informationen werden regelmäßig zwischen Kunde und Zulieferer ausgetauscht (BP2).
- Die technische Entwicklung wird regelmäßig gemeinsam mit dem Zulieferer überprüft und technische Aspekte, Probleme und Risiken werden besprochen (BP3).
- Der Fortschritt des Zulieferers in Bezug auf Liefertermine, Qualität und Kosten wird regelmäßig überprüft. Falls erforderlich, werden risikomindernde Maßnahmen ergriffen. (BP4)
- Werden die Ziele nicht erreicht, werden Korrekturmaßnahmen ergriffen. Änderungen an den Vereinbarungen werden von den Parteien gemeinsam beschlossen und dokumentiert (BP5).
Erfahrungen, Probleme und Tipps:
- Der ACQ.4-Prozess ist erforderlich, wenn die Entwicklung einer Komponente an einen Unterauftragnehmer vergeben wird oder wenn eine gekaufte Komponente an die Projektanforderungen angepasst werden muss.
- Das kann sowohl die externe als auch die interne Entwicklung von Produktkomponenten betreffen. Die Lieferantenüberwachung ist auch für interne Zulieferer sinnvoll und notwendig.
- In den Automotive SPICE-Richtlinien des VDA wird empfohlen, ACQ.4 auch für COTS-Produkte anzuwenden.
- Erkundigen Sie sich bei Ihrem(n) OEM(s) nach deren Anforderungen.
- Einige Unternehmen setzen Mitarbeiter von Zulieferern ein, die umfangreich in die Projekte eingebunden sind. In diesen Fällen ist ACQ.4 nicht anwendbar. Bei einem Assessment sollte diese Situation im Rahmen des Projektmanagements beurteilt werden (MAN.3). Ob ACQ.4 oder MAN.3 zur Beurteilung der Zusammenarbeit herangezogen wird, hängt von der tatsächlichen Form der Zusammenarbeit und nicht von formalen, rechtlichen Aspekten ab.
- Das Lieferantenmanagement ist oft sehr aufwändig und wird unterschätzt, insbesondere bei Offshore-Zulieferern. In vielen Fällen bedarf es daher eines Lieferantenmanagers, der sich ausschließlich darum kümmert.
- Auch wenn Sie von Ihrem Zulieferer die Einhaltung von Automotive SPICE verlangen, kann es sein, dass das Projekt den ACQ.4-Prozess durchlaufen muss.
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Über den Autor
Thomas Liedtke ist von Haus aus Informatiker. Nach seiner Promotion an der Universität Stuttgart ging er in die Telekommunikationsbranche. Bei Alcatel-Lucent leitete er 14 Jahre lang erfolgreich zahlreiche Projekte und mehrere Abteilungen. Inzwischen ist er seit mehr als zehn Jahren in der Beratung tätig und teilt seine Erfahrungen mit Kunden in verschiedenen Branchen, vor allem in den Bereichen Sicherheit, Cybersicherheit, Datenschutz und Projektmanagement.
Er hat in mehreren Gremien mitgewirkt, insbesondere in der Arbeitsgruppe für automobile Cybersicherheit bei German Electrical und in der VDA-Arbeitsgruppe Cybersicherheit (DIN-Norm NA052-00-32-11AK und ISO-Norm TC22/SC32/WG11).
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